Kunst am Bau im Zeitalter ihrer Wiedervorlage:
Thorsten Goldbergs Installation „reflected ministry“
Johannes Stahl
Das als „Kreuzbauten“ bekannte Ensemble mit den beiden signifikanten Bürohochhäusern für Bundesministerien in Bonn ist in seiner städtebaulichen und architektonischen Qualität nach wie vor richtungsweisend. In den frühen 1970er Jahren von der Planungsgruppe Stieldorf entworfen, ist es das Fragment einer größeren Konzeption, die unter dem Planungsnamen „Godesberg-Nord“ insgesamt sieben gleichartige Gebäude für weitere Ministerien vorsah. Diese städtebauliche Anlage hätte eine bemerkenswert offene, parkartige Stadtlandschaft mit offenem Zugang zum Terrain zwischen Adenauerallee und Rheinauenpark entstehen lassen. Doch das Aufkommen des Terrorismus hat die vorbildliche Planung umgekehrt und zur heute abgeschlossenen, inselartigen Existenz geführt. Das inzwischen denkmalgeschützte Ensemble mit den markanten Hochhäusern auf jeweils kreuzförmigem Grundriss und den niedrigeren Ergänzungsbauten bildet eine städtebauliche Dominante zwischen dem Bonner Stadtteil Gronau und dem südlich anschließen- den Bad Godesberg.
Der Komplex, der heute überwiegend vom Bundesministerium für Bildung und Forschung genutzt wird, verfügt über eine Erschließung auf zwei Ebenen, um zeittypisch die ebener- digen fußläufigen Bereiche und die mit dem Auto befahrbaren, tieferliegenden Wege und Parkmöglichkeiten zu trennen. Die nunmehr wiederhergestellte aufwändige Grünplanung sowie das detailliert ausgestaltete Lichtkonzept sind weitere Elemente dieser prägnanten Stadtlandschaft. Eine größere Anzahl prägnanter Kunstwerke ergänzt das Ensemble zu einem durchgestalteten Ort. Die Mischung aus technischer Eleganz der Gebäude, funktionsorientierter Raumplanung, Durchgrünung und qualitätvoller bildender Kunst hatte seinerzeit Signalwirkung für das Selbstverständnis der jungen Bundesrepublik. Die Kunstwerke sind bis heute jedoch nahezu ausschließlich nur den Nutzern zugänglich und können wie die gesamte Liegenschaft nur zu ausgewählten Anlässen von der Öffentlichkeit in Augenschein genommen werden.
Dabei kommt der Idee von Kunst am Bau in dieser Gesamtanlage eine Schlüsselrolle zu. Die Grundidee dieser Arbeiten beschreitet im Gegensatz zur Kunst in Galerien und Museen einen besonderen Weg: sie zielt auf ihre Präsenz in der Öffentlichkeit und ist für genau diesen Ort geschaffen. Nicht selten geht sie auf Sichtweisen und Sehgewohnheiten der Betrachter ein: starke Impulse überzeugen visuell durch Material und Fertigung, mitunter durch Anpassung an die Erwartungen, aber auch durch Konfrontation oder gar Ironie. Trotzdem hat diese Form angewandter Kunst keinen leichten Stand. Verbreitet blicken Menschen mit einem stark funktional orientierten Blick auf öffentliche Räume. Für ästhetische Angebote bleibt dann wenig Aufmerksamkeit. Auch die wachsende optische Bewirtschaftung des öffentlichen Raums schränkt das ein, was Aby Warburg „Menschenrechte des Auges“ nannte.
Die Arbeit „reflected ministry“ des Berliner Künstlers Thorsten Goldberg ging aus einem Kunst-am-Bau-Wettbewerb anlässlich der Sanierung des Ensembles „Kreuzbauten“ hervor. Zunächst fällt die Konsequenz auf, mit welcher Goldberg seine eigene künstlerische Arbeit in den Dienst bereits vorhandener Kunstwerke stellt – auch wenn die Ausschreibung ein entsprechendes Engagement erbat. Mit der Cafeteria wählte er einen Ort, der zuverlässig von allen auf dem Gelände Tätigen frequentiert wird. Hier installierte er eine Reihe von Projektoren, die zu festgelegten Zeiten eine Bildersequenz präsentieren. Als Projektionsfläche dafür dienen ihm sechs Fenster der Cafeteria, deren Flächen einerseits den Betrachter widerspiegeln, andererseits durch einen Milchglaseffekt sowohl die Projektion ermöglichen als auch den üblichen Blick durchs Fenster gestatten. Zu sehen sind in Goldbergs Bilderbogen ausgewählte Ansichten vom Terrain des Ministeriums für Bildung und Forschung – und damit genau das, was auch die spezifische Qualität dieses Ortes ausmacht. Im Fokus sind insbesondere die zahlreichen Kunstwerke, die seit den 1970er Jahren für diesen verdichteten Raum geschaffen wurden – und zur spezifischen Qualität dieses Ortes beitragen.
Goldbergs Aufnahmen transportieren viel von der ursprünglich vorhandenen Offenheit des Areals. Im extremen Breitwandformat aufgenommen, entsprechen sie keineswegs den üblichen Proportionen von Bildern, sondern orientieren sich am Blickfeld von Personen, die in Bewegung sind, zu Fuß oder beim Blick durch eine Windschutzscheibe etwa. Ohne daraus eine strikte Regel zu machen, rücken seine Aufnahmen die Kunstwerke in die Mitte des Blickfeldes. Gleichzeitig unterstreicht das extreme Querformat die Einbettung der Werke in einen rundum gestalteten Stadtraum mit überlegt inszenierten Bezügen zwischen Gebäuden, Wegen, Grünflächen und qualitätvollen Kunstwerken. Dieser künstlerische Blick auf die Arbeiten von Kolleginnen und Kollegen, die mindestens eine Generation älter sind, akzentuiert wesentliche Merkmale dieser Kunstwerke, fast wie eine Revision. Wie andere Arbeiten von Thorsten Goldberg steht „reflected ministry“ im Zwischenbereich zwischen signifikanten Formen, Wahrnehmungshilfen und dem Kommentieren vorhandener Denkgewohnheiten.
Victor Bonatos „Gegenströmung“ aus dem Jahr 1981 steht nicht grundlos am ursprünglich als Haupteingang geplanten und heute noch an der aufwändigen Pflasterung ablesbaren ehemaligen Zugang zum Gelände von der Godesberger Allee. Die auf Schienen rollenden massiven Kugeln mit ihrer potentiellen Dynamik, der Sprungschanzenartigen Anlage und der Barriere in der Mitte können wie ein Kommentar zur (stadt-)räumlichen Situation und ihrer Entwicklung gesehen werden – gerade weil sie in der ursprünglichen Konzeption einen Innenraum mit dem Außenraum verbinden sollten.
Ansgar Nierhoffs „Plastische Kreuzung“ aus dem Jahr 1977 zitiert die Grundform der prägenden Architektur mit der Formensprache eines Bildhauers. Goldbergs Aufnahme davon rückt die horizontal ausufernde Plastik mit ihrem panoramaartigen Format etwas aus der Mitte und lässt dafür die umgebenden Bäume des tiefer gelegenen Geländes zur Geltung kommen. Mit dieser Perspektive betont er nicht so sehr die Kreuzform der Plastik (wie sie sich aus den Hochhäusern ergibt), sondern die Sichtweise der Passanten.
Kleinere Plastiken aus den Innenhöfen berücksichtigt Goldbergs Auswahl ebenfalls: die Arbeiten von Günter Ferdinand Ris, Ursula Sax, Petra Siering und Rolf Szymanski beispielsweise hat er mit einer vergleichsweise nahen Sicht in die Bilderschau einbezogen. Die beiden raumgreifenden Treppenhausinstallationen aus Edelstahldraht von Wolfgang Klein hingegen entwickeln sich im sehr breiten Format der Aufnahmen zu bildbestimmenden Linien, die eher grafische als räumliche Komponenten betonen. Jürgen Hans Grümmers großformatige Installation nimmt im Raum zwischen den beiden Kreuzbauten eine zentrale Position ein und greift mit weiteren Steinelementen weit ins Gefüge der Gesamtanlage aus. Goldbergs panoramaartiges Foto weist hier mit seiner horizontalen Entwicklung auf genau diesen bestimmenden Faktor von Grümmers Arbeit hin – und schließt am linken Bildrand mit der Cafeteria auch den Ort ein, an welchem Goldbergs projizierte Auseinandersetzung mit diesen Kunstwerken ihren Platz findet. Von Jürgen Hans Grümmer stammt auch die für einen engen Lichthof geschaffene Arbeit „Polyphems Spielzeug“, die aus einer Folge von Basalt- und Eisenskulpturen auf einem planmäßig von Pflanzen überwucherten gepflasterten flachen Plateau besteht und in Goldbergs Bilderbogen wie ein Laufband bildhauerischer Möglichkeiten präsentiert wird. Die in einer ähnlichen räumlichen Situation angesiedelte Arbeit von Joachim Spies zeugt mit ihren verstreuten farbenfrohen Kuben in einem Steingarten von einer anderen Umgangsweise. Hier fängt Goldbergs panoramaartiges Bildformat sowohl die Ausdehnung im Raum ein als auch den Sichtbezug zu den angrenzenden Arbeitsräumen. Den „Pavillon der Elemente“ der Künstlerarchitektengruppe Haus-Rucker-Co zeigt Goldberg in seinem charakteristischen Zwittercharakter zwischen Skulptur und Bauwerk, eingebunden in den Zusammenhang zweier flankierender Gebäude. Die baumartige Plastik des Berliner Künstlerpaars Matschinsky Denninghoff taucht in zwei entgegengesetzten Perspektiven auf, welche die zentrale Ost-West-Achse zwischen Godesberger Allee und Rheinaue betonen. Auch Erich Hausers kubische Edelstahlskulptur ist aus zwei Perspektiven zu sehen. Sie bildet mit ihrem flachen Sockel aus Backsteinen das Gegenüber zu Goldbergs Installation und spiegelt sich – je nach eingenommenem Blickwinkel – in den Cafeteriafenstern.
Die auf ihr Eigenlicht angewiesene Arbeit „reflected ministry“ drängt sich nicht aufdringlich in die Wahrnehmung, gleichwohl sind die unterschiedlichen Lichtverhältnisse im Wandel der Tages- und Jahreszeiten eine Blickbedingung für Betrachter. Wer das bildnerische Angebot Goldbergs nutzt, kann die Installation sogar durch Gesten steuern – analog zum Weiterwischen von Bildern auf einem Smartphone. Damit bietet sich die Möglichkeit, immer wieder neue Bilder zu entdecken oder diese sich nach und nach zu erschließen – wie auch die zahlreichen Kunstwerke auf der Liegenschaft, welche Gegenstand der Bilderfolge sind.
Goldbergs Installation belebt das Ereignisfeld der bildenden Kunst an diesem bemerkenswerten Ort neu. Seine künstlerische Herangehensweise eröffnet eine neue Sicht auf diesen mit hoher Qualität geschaffenen Stadtraum, auf seine Bedeutung für die Bundesrepublik und nicht zuletzt auf das hohe Niveau der hier versammelten und zu Unrecht in Vergessenheit geratenen Kunstwerke. Der Titel führt das noch auf eine andere Ebene. Wer die Arbeit in Augenschein nimmt, wird sein eigenes Spiegelbild immer wieder als optischen Reflex in den Scheiben wahrnehmen – und damit eine weitere Ebene neben der Architektur und den projizierten Bildern finden. Der Betrachter ist damit im doppelten Sinn „im Bilde“. Reflektiert wird über den Bilderbogen das gesamte Ministerium – als Ort und als Einrichtung. Schließlich stammt der Begriff Ministerium aus dem Lateinischen und bezeichnet dort eine dienstbare Funktion. Man kann den Titel Goldbergs auch als Hinweis an die dort Beschäftigten lesen, über ihren Dienst am Staat nachzudenken. „Reflected ministry“ stellt sich in den vermittelnden Dienst anderer Kunstwerke und „reflektiert“ das Ministerium und dessen Aufgaben. Goldbergs Angebot macht die Herausforderungen des gestalterischen Anspruchs und kulturellen Reichtums an diesem Ort zum Thema, wirbt für eine intensivere Wahrnehmung und schließt weiterführende Reflexionen an.