Schwebender Ring
 

Ein mehrfach gewun­dener  Edel­stahlring hängt in etwa 5 m Höhe über Wiese und Weg vor der dunklen Schin­delfas­sade des Neubaus des Museums im Gren­z­durch­gangslager Fried­land. Er ist mit Stahl­seilen von der Fassade des Museum und von einem freis­te­henden Mast abges­pannt. Auf Ring sitzen neun etwa lebens­große Bronze­tauben, einige hängen kopfüber an dem Ring.

Ursprung ist ein aus drei Strängen geflocht­ener Kranz, vom dem ein einzelner Strang dargestellt ist. Ohne die anderen Stränge, um die er ursprünglich gewickelt war, ist die Form auf den ersten Blick nicht herzuleiten – sie irri­tiert und täuscht die Wahrnehmung auch über ihre Ausrich­tung wie ein Trug­bild. Die mehrfache Verdrehung hat sich verselb­st­ständigt, der Kranz erscheint bewegt.

Die Form ist hoch über Kopf in den Himmel gehängt und scheint irgendwie lässig, wie ein weicher Ring auf den Wellen, im Luftraum zu schweben. Auf dem Ring haben sich Tauben niederge­lassen. Sie sitzen mehrheitlich auf der einen Hälfte, einzeln oder in Paaren. Aber ebenso sitzen auch einige Tauben kopfüber unter dem Ring. Zwar sind die sitzenden Vögel ein gewohntes Bild, das aber durch die Selb­stver­ständlichkeit, mit der einige Tauben kopfüber zusam­men­sitzen, absurd und traumhaft wird. Eine selt­same Versamm­lung im Kreis oben in der Luft.

Unter­scheiden sich die Tauben auf der Unter­seite von denen auf der Ober­seite des Rings, welche Gemein­samkeiten haben sie, sind sie ein Spiegel­bild derjenigen auf der anderen Seite, oder ist es ganz gleich, oben oder unten zu sitzen? Denn, wenn keine Schw­erkraft wirkt, bietet der Ring eben doppelt so viel Platz, sich darauf niederzulassen.
So nimmt der Ring mit seinen darauf rastenden Tauben Bezug auf die Situ­a­tion des Durch­gangs und des Über­gangs, indem er selbst in einer Art Schwe­bezu­s­tand ist, nicht fest auf dem Boden steht und sich über Grenzen (räum­liche ~ und physikalische ~) hinwegzusetzen scheint. Er hängt quasi frei im Luftraum, lenkt den Blick nach oben und lässt durch sich hindurch­schauen in den Himmel. Wie ein seltsam schwebendes, vom Wind bewegtes Gefährt in der Luft, zeichnet sein Schatten auch einen Kreis auf die darun­ter­liegende Wiese, der im Laufe des Tages über den Weg wandert.
Der silbrig glänzende, in der Luft schwebende Ring mit den darauf – wie Zugvögel auf einem Stück Treib­holz – niederge­lassenen Tauben ist Sinnbild für die Situ­a­tion vieler Menschen und für das Durch­gangslager selbst.


Entwurf 2022, Fertiggestellt 2025
Auftraggeber: das Land Nieder­sachsen, vertreten durch das Staatliche Bauman­age­ment Südniedersachsen
Architektur: dichter Architek­turge­sellschaft Berlin
Land­schaft­sar­chitektur: bbz Land­schaft­sar­chitekten Berlin
Fotos: Thorsten Goldberg