Intervention mit drei Männern auf einem blumengeschmückten Balkon am Wiesbadener Rathausmarkt, 24.08. 2000 – 16.09. 2000.
Auf dem bunt bepflanzten Balkon in der Wiesbadener Innenstadt erscheinen, täglich pünktlich um 8, 12 und 18 Uhr, drei ordentlich gekleidete Herren. Sie stehen nebeneinander an der Brüstung und singen für genau drei Minuten das Lied „Wir haben Hunger, Hunger, Hunger, haben Hunger, Hunger, Hunger, haben Hunger, Hunger, Hunger, haben Durst! Wir wollen Cola, Cola, Cola, wollen Cola, Cola, Cola, wollen Cola, Cola, Cola, wollen Wurst!“. In den Postkartenständern der touristischen Knotenpunkte, z. B. im Kurhaus, Hauptbahnhof, in der Touristinfo, in Souvenirläden und Hotels, sind neben den Postkarten der bekannten Wiesbadener Sehenswürdigkeiten auch solche zu finden, die die drei singenden Männer auf dem blumengeschmückten Balkon zeigen. Außer dem Foto, dem Text des Liedes in deutscher und englischer Sprache sowie den Angaben von Ort und Uhrzeit enthalten sie keine weiteren erklärenden Hinweise. Der Balkon an diesem prominenten Platz, in unmittelbarer Nähe zum Rathaus sowie dem Hessischen Landtag, könnte der Bekanntgabe wichtiger Botschaften dienen. Durch die Banalität der Aussage wird das Motiv der Verkündung jedoch verkehrt – anstelle von Bedeutendem wird Belangloses kundgetan. Die regelmäßige und zunehmend enervierende Wiederholung verleiht der Situation Absurdität: Drei Männer treten auf den Balkon, um in ritualhafter Wiederholung Nichts zu verkünden. Der Akt des Heraustretens und Wiederverschwindens ruft Assoziationen zu Türmern, zu Muezzins, zu Kuckucksuhren oder Glockenspielen hervor. Die drei singenden Männer schaffen eine Atmosphäre, die fremd bleibt und sich über die tägliche Wiederholung an diesem Ort dennoch etabliert. Das zitierte Kinderlied, seit Generationen bekannt und mündlich überliefert, ist kein offiziell notiertes, es taucht nicht in Liederbüchern auf. Als harmlose Persiflage steht es nicht für wirklichen Hunger, sondern für den Appetit. In Goldbergs Fassung wird nach „Cola und Wurst“ gerufen, nach Lebensmitteln, die als Symbol für eine Überflussgesellschaft stehen, die von der Haltung geprägt ist, niemals genug bekommen zu können oder nie satt zu sein. Der eigentlich existentielle Ausdruck „Hunger, Hunger“ wird zur Persiflage und wirkt in seinem spielerischen Charakter der gepflegten Saturiertheit der Weltkurstadt ironisch entgegen.