Blackbird & Bluebird
 

2-Kanal-Video­pro­jek­tion auf gegenüber­liegende Flächen, DV PAL, 8:30 Std. und 6:15 Std. Entstanden während eines drei­monatigen Arbeit­saufen­thaltes in Wies­baden 1998. Instal­la­tion­san­sicht in der Kunsthalle Münster 2002.


Black­bird: Ein Kinderbleis­tift, auf dessen Ende ein schwarzer Vogel sitzt, schreibt über zwölf Stunden unablässig sämtliche, veröf­fentlichte Polizeimel­dungen eines Zeitraumes von drei Monaten chro­nol­o­gisch und wörtlich aus der Zeitung ab. Im Hinter­grund sind die Geräusche der Stadt live zu hören – Autos, Stimmen, Sirenen oder Vogel­gezwitscher dringen leise durch die kratzenden Schreibgeräusche. Blue­bird: Ein Kinderbleis­tift, auf dessen Ende ein blauer Radier­gummi-Vogel sitzt, radiert sämtliche Polizeimel­dungen, die der schwarze Vogel­bleis­tift geschrieben hat, rück­wärts chro­nol­o­gisch wieder aus. Auch hier sind neben dem hektis­chen Quietschen der Stifte die Geräusche der Stadt zu hören. Zunächst erscheint die aufgenommene Situ­a­tion kaum verständlich. Ein schwarzer, weiß gepunk­teter Spielzeughahn schaukelt in wildem Tanz durch die Projek­tions­fläche. Etwas unscharf, aber bei näherem Hinsehen doch erkennbar, werden weit unter­halb des Hahns mit Bleis­tift geschriebene Notizen im Kurz­nachricht­en­stil erkennbar. Unter stich­wor­tar­tigen Über­schriften wie „Geraubt“, „Gefrustet“ oder „Auch das passierte“ sind Polizeimel­dungen von Entführungen, Raubüber­fällen oder Verkehrsun­fällen aufge­führt. Erst die kratzenden Schreibgeräusche lassen den Zusam­men­hang deut­licher werden: Das Video zeigt den deko­ra­tiven Aufsatz eines Kinderbleis­tiftes, mit dem Zeitungsmeldungen einer Wies­badener Tageszeitung abgeschrieben werden. Als Unter­stre­ichung der Absur­dität dieses Vorgangs medi­aler Wirk­lichkeitss­chöp­fung, aber auch des müßigen Charak­ters der antiquiert beflis­senen Abschreibar­beit, setzt Thorsten Gold­berg dem Black­bird einen Blue­bird entgegen. Auf einer zweiten Projek­tion­slein­wand ist der gleiche mit Bleis­tift geschriebene Text erkennbar, jetzt wird er jedoch wieder ausgelöscht. Unter­malt von dem heftigen Kratzen der Stifte sowie im Hinter­grund hörbarer Allt­ags­geräusche, entbrennt ein eifriger Wettstreit aus Notieren und Radieren, aus Geschichtss­chrei­bung und deren Widerruf.*

* Martin Henatsch: Momente der Zerbrech­lichkeit, in Katalog: Thorsten Gold­berg, Münster 2003.